Archivierter Inhalt

Spenden im US-Wahlkampf: Backpfeife oder Zukunftsinvestition?

New York Stock Exchange
Foto: flickr / Stuck in Customs. Dieses Bild ist lizensiert unter einer Creative-Commons-Lizenz.

27. Oktober 2010
Von Liane Schalatek
Sind die Banker der Wall Street sauer auf die Obama-Regierung und die demokratische Mehrheit im Kongress, die ihnen in diesem Jahr die umfassendste Reform der amerikanischen Finanzbranche seit den 1930er Jahren beschert und Finanzgeschäfte mit massiven neuen Auflagen belegt hat? Oder folgen ihre Entscheidungen rationalem Geschäftskalkül, welches das Pendel der Macht in Washington angesichts der Kongress-Zwischenwahlen am 2. November in Richtung Republikaner schwingen sieht?

Vor zwei Jahren hatte die amerikansiche Finanzbranche Obama im Präsidentschaftswahlkampf überwältigend unterstützt, im laufenden Wahlkampf um hat sich die Branche in diesem Punkt um 180 Grad gedreht. Statt in Obamas Team investiert die Branche jetzt in einen Sieg der Republikaner.

Noch 2008 konnte der damalige Präsidentschaftskandidat Obama rund 40 Prozent mehr Spenden von Angestellten der Banken- und Finanzbranche einsammeln als sein republikanischer Gegenspieler John McCain. Auch weil die Wall Street nach dessen achtjähriger Amtszeit Bush-müde geworden war. Was sich bereits im Frühjahr 2010 angekündigt hatte, wurde Gewissheit, nachdem das unabhängige „Center for Responsive Politics“ die Spendenzahlungen für das zweite Quartal veröffentlichte: Die Republikaner erhielten bis zur Jahresmitte zwei Drittel aller Wahlkampfbeiträge der Finanzdienstleister. Die Demokratischen Kampagnenkomitees für Repräsentantenhaus und Senat aber erhielten im Vergleich zu 2008 rund 65 Prozent weniger Spendengelder von der Finanzindustrie.

Deutlich mehr Spenden für Kandidaten der Republikaner

Vor allem einzelne republikanische Kandidaten für den Senat haben von dieser finanziellen Großzügigkeit profitiert, darunter die republikanischen Kandidaten in den stark umkämpften Bundesstaaten Ohio, Illinois, Pennsylvania. Dort hatten die Wähler 2008 noch mehrheitlich für Obama gestimmt. Mark Kirch (Illinois), Rob Portman (Ohio) und Pat Toomey (Pennsylvania) erhielten jeweils deutlich mehr als 300.000 Dollar von der Wall Street. Unter den zehn Senatskandidat/innen, welche die meisten Spenden aus dem Finanzsektor erhielten, sind nur drei Demokraten, darunter Mehrheitsführer Harry Reid aus Nevada.

Wenige Wochen vor der Zwischenwahl sind die Beiträge aus dem Finanzsektor an die Demokraten deutlich niedriger als gleichartige Finanzspritzen für republikanische Kandidat/innen.  Das betrifft einzelne Überweisungen von Meinungsmachern wie Lloyd Blankstein, Geschäftsführer von Goldman Sachs. Aber auch Spenden von Beschäftigten der Finanzbranche für so genannte „Political Action Committees”, die Wahlkampfspenden der Industrie sammeln und an die Parteien weiterreichen.

„Wenn du mich aus der Bar und auf die Straße schleppst, um mich zu verhauen, dann erwarte nicht, dass ich dir auch noch einen Drink spendiere” zitiert die Agentur Reuters anonym einen Verantwortlichen aus der Branche, der damit die aktuelle Stimmung kommentiert. Ein Zitat, das zeigt, wie verärgert der Finanzsektor über Präsident Obama und die Demokraten im Kongress ist. Die derzeitige Spenden-Vorliebe der Finanzmanager für die Republikaner ist eine Backpfeife für die Demokraten.

Schließlich waren sie es, die nach fast einjähriger Debatte gegen die Stimmen der Republikaner mit einem neuen Gesetz die Macht von Banken und Finanzindustrie beschnitten und Verbraucherrechte gestärkt hatten. Anti-Wall-Street-Rhetorik hat zudem auch in den Wahlkampfspots zahlreicher demokratischer Kandidaten in der heißen Phase des Wahlkampfs Hochkonjunktur. Denn die Wähler aus der amerikanischen Mittelschicht sind immer noch verärgert über staatliche Finanzspritzen für die Banken- und Finanzindustrie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, Boni für Manager und einen erneuten Höhenflug der Börse, knapp zwei Jahre nach Beginn des Wall-Street-Debakels. Das Land leidet weiterhin unter Arbeitslosigkeit, Verschuldung und Perspektivlosigkeit. Die demokratischen Strategen hoffen, diese Verbitterung nutzen zu können, um die „Enthusiasmuslücke” ihrer Stammwähler zu schliessen.

Geschäftliches Kalkül als treibende Kraft hinter dem Spendenverhalten

Unabhängige Beobachter halten es allerdings für wahrscheinlicher, das  nicht nur Verägerung hinter dem Verhalten der Finanzmanager steckt, sondern vor allem simples geschäftliches Kalkül.  Aus Sicht der Finanzbranche lohnt sich nämlich eine Investition in den voraussichtlichen Gewinner der Wahl. Die Republikaner sind favorisiert, rund 40 Sitze im Repräsentantenhaus, und damit die Mehrheit zurückzugewinnen. Auch im Senat, in dem ein Drittel aller Sitze am 2. November neu vergeben werden, haben die Republikaner gute Chancen, die Führung zu übernehmen.

Die Finanzbranche erwartet sich von einem republikanischen Sieg starke Gewinne an der Börse. Denn Börsenhochs gab es bisher immer, wenn eine andere Partei die Mehrheiten im Kongress erringen konnten. Wenn weder Exekutive noch Legislative unbeschränkte Macht genießen, so das Kalkül, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine moderatere Finanzmarktpolitik im Sinne von Banken und Finanzdienstleistern.

Demokrat Barney Frank aus Massachusetts, zurzeit noch Vorsitzender des Aussschusses für Finanzdienstleistungen im Repräsentantenhaus und Mit-Autor des Gesetzes zur Finanzreform, hat das bereits am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Rund 380.000 Dollar haben Finanzdienstleister heuer in seine Wahlkampfschatulle geworfen. Der republikanische Abgeordnete Spencer Bachus aus Alabama, der im Falle eines Siegs der Republikaner den Ausschussvorsitz von Barney Frank übernehmen würde und als passionierter Gegner der Finanzmarktreform gilt, konnte dagegen fast 500.000 Dollar einnehmen.

Die Wall Street gehört jedoch auch unabhängig vom Ausgang der Zwischenwahlen zu den Gewinnern: Selbst wenn die Demokraten das Wahlkampfruder noch herumreißen und einen Sieg erringen könnten, müsste die Branche keine Rache seitens der Demokraten erwarten – zumal das Reformgesetz bereits verabschiedet ist.  Denn Präsident Obama muss bereits jetzt damit beginnen, Spenden für die Präsidentschaftswahl 2012 zu sammeln.

Außerdem haben Banken und Finanzdienstleister bereits das bekommen, wofür sie bezahlt haben: Ein Gesetz zur Reform des Finanzmarktes, das dank einer Armee bezahlter Lobbyisten im Sinne der Industrie deutlich entschärft wurde. Damit wurden die rund 620 Millionen Dollar, die der gesamte Finanzsektor dem Center for Responsive Politics zufolge seit dem Amtsantritt von Präsident Obama in die Vertretung ihrer Interessen in Washington gesteckt hat, in jedem Fall gewinnbringend investiert.

Kurzbiographie

Liane Schalatek

Liane Schalatek ist stellvertretende Leiterin des Washingtoner Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, sie arbeitet seit 1999 an Globalisierungs-, Wirtschafts- und Entwicklungsthemen arbeitet. Ihr derzeitiger Arbeitsschwerpunkt liegt auf Klima- und Entwicklungsfragen, vor allem im Hinblick auf Klimafinanzierung.  Geschlechtergerechtigkeit ist ein wichtiges Thema all ihrer Arbeit für die Stiftung. Liane Schalatek ist gelernte Journalistin und hat Studienabschlüsse in Politik und Volkswirtschaftslehre von der Universität Erlangen sowie in International Affairs von der George Washington University in Washington, DC.